Offener Brief an die Ministerpräsidenten
der Länder der Bundesrepublik Deutschland

Anbei ein offener Brief von Dr. phil Katharina Hartmann, Bonn an die Ministerpräsidenten der Länder der Bundesrepublik Deutschland:

Dr. phil Katharina Hartmann
Bonn katharina.hartmann@uni-bonn.de
An die Ministerpräsidenten
der Länder der Bundesrepublik Deutschland

Bonn, den 10. März 2013

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich wende mich heute an Sie in größter Besorgnis. Mit großer Hoffnung erfuhren wir, die beteiligten Initiativen an den derzeit laufenden Elternprotesten, von der Bundesratsinitiative des Landes Schleswig- Holstein zur Absicherung der Geburtshilfesituation. Mit Bestürzung lasen wir jedoch die vorläufige Formulierung des Initiativpapieres.

Wir sind der Meinung, dass das Papier einige Ungenauigkeiten enthält und daher nicht geeignet ist, die Situation für jährlich ca. 650.000 Gebärende und ihre Familien in Deutschland maßgeblich zu entschärfen.

Im Papier heiß es: „I. Der Bundesrat stellt fest: (…) Es ist nicht auszuschließen, dass den freiberuflich tätigen Hebammen in der Geburtshilfe ab Sommer 2015 möglicherweise überhaupt keine Berufshaftpflichtversicherung mehr zur Verfügung steht. Dies führt vermehrt dazu, dass freiberuflich tätige Hebammen in der Geburtshilfe ihre Tätigkeit aufgeben, weil sich die hohen Versicherungsbeiträge kaum noch erwirtschaften lassen.“

Das ist so leider nicht korrekt: Das Fehlen eines Haftpflichtversicherers führt zum Wegbrechen des Berufsstandes, nicht zu einer „vermehrten Aufgabe der Tätigkeit“. Dies bedeutet für die Wählerinnen und Wähler in Ihrem Land, dass nicht nur die Option auf außerklinische Geburtshilfe oder eine Beleggeburt entfällt, sondern im Zweifel auch den Wegfall der Hebammenbetreuten Schwangerenvorsorge, von Geburtsvorbereitungskursen sowie der Wochenbettbetreuung nach der Geburt, Stillberatung und präventiven Rückbildungskurse, die von Hebammen angeboten werden. Auch diese kann eine Hebamme ohne Berufshaftpflichtversicherung nicht ausüben. Wir bitten Sie hierbei zu bedenken, welche Auswirkungen für unser Gesundheitssystem der Wegfall dieser oft präventiven Maßnahmen hätte, möchten aber zeitgleich nachdrücklich darauf hinweisen, dass die Geburtshilfe das eigentliche Kerngeschäft der Hebamme ist und die gesamten Berufsgruppe finanziell in der Lage sein muss, diese Tätigkeit auch auszuführen.

Weiter heißt es im Antragstext: „Eine weitere Schwächung der freiberuflichen Geburtshilfe und damit Versorgungslücken sind zu verhindern.“ Wir geben zu bedenken, dass bereits seit der ersten großen Erhöhung der Haftpflichtprämie viele freiberufliche Hebammen die Geburtsbegleitung eingestellt haben (vgl. IGES 2012). Wir betroffenen Eltern müssen jetzt schon täglich erfahren, dass wir in einigen Gebiete des Landes keine Hebamme mehr finden, die die werdende Mutter und junge Familie betreuen kann: Wir bitten Sie daher, nicht nur eine „weitere Schwächung (…) und Versorgungslücken (…) zu verhindern“, sondern eine flächendeckende Versorgung überhaupt herzustellen. Bitte erinnern Sie die Bundesregierung daran, dass wir Bürgerinnen und Bürger laut SGB V einen Anspruch auf diese Hebammenleistungen haben (und zwar vor, während und auch nach der Geburt) und dass der Stellenwert der Präventionsmaßnahmen gerade erst mit der Fassung von § 20 und § 20a SGB V vom 27. August 2010 gestärkt worden ist.

Des Weiteren heißt es: „II. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung: (…) 2. (…) Dabei sollte mit einer auch aus Gründen der Patientinnensicherheit sinnvollen Mindestzahl von Geburten die jährliche Berufshaftpflicht für die Geburtshilfe zu erwirtschaften sein.“

Wir Eltern möchten darauf hinweisen, dass Schwangerschaft und Geburt keine Krankheit sind und wir bitten deshalb davon abzusehen, von Schwangeren als „Patientinnen“ zu sprechen. Eine Mindestzahl an Geburten pro Vollzeithebamme im Bereich der Geburtsbegleitung ist nach unserer Datenlage mit erhöhtem Risiko für Mutter und Kind verbunden: Da Geburt kein medizinischer Vorgang, sondern ein psycho-soziales und endokrinologisches Ereignis ist, kommt Fallzahlen in der Geburtshilfe ein anderer Stellenwert zu als etwa in der Gefäßchirurgie oder Transplantationsmedizin. In der Betreuung von werdenden Müttern ist eine solide Ausbildung, Erfahrung und Übung absolut wichtig, aber als signifikanter Sicherheitsfaktor in der Geburtshilfe ist nun schon über Jahre hin immer wieder die 1:1-Betreuung belegt (vgl. Cochrane Review 2013). Wir betroffenen Bürgerinnen und Bürger bitten Sie daher, keine Mindestgeburtenzahl festzulegen, da hiermit die sicherste Betreuung von Mutter und Kind, die 1:1- Betreuung durch eine Hebamme, nicht sichergestellt werden kann.

Neben der 1:1-Betreuung durch eine qualifizierte Hebamme gilt als zweiter entscheidender Faktor für die Sicherheit von Mutter und Kind die Zeit, innerhalb der die nächste geburtshilfliche Einrichtung erreicht werden kann – eine großangelegte Studie aus den Niederlanden kommt zu dem Ergebnis, dass das Mortalitätsrisiko deutlich erhöht ist, wenn die nächste geburtshilfliche Einrichtung nicht unterhalb von 20 Minuten erreicht werden kann (Ravelli 2011). Wir möchten Sie bitten, auch dieses Ergebnis zu berücksichtigen und uns vor diesem erhöhten Sterblichkeitsrisiko zu schützen, indem Sie nachdrücklich auf die Wichtigkeit einer Wohnortnahen Versorgung hinweisen.

Falls die Bundesregierung sich von diesen Daten und unseren Sorgen nicht überzeugen lässt, so weisen wir darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im sogenannten Ternovsky-Urteil bereits 2010 entschieden hat, dass die europäischen Mitgliedsstaaten unter Bezug auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention dazu verpflichtet sind, das Recht der Gebärenden auf die freie Wahl des Geburtsortes und der Geburtsbegleitung zu garantieren. Falls der deutsche Staat sich nicht in der Lage sehen sollte, uns dieses Grundrecht zu gewährleisten, so können wir rechtliche Schritte in Straßburg nicht ausschließen.

Wir Bürgerinnen und Bürger sind darauf angewiesen, dass Sie als gewählte Vertreter unsere Interessen vertreten – darum bitten wir Sie heute eindringlich. Aus unserer Sicht steht nichts weniger als die Zukunft der Geburtshilfe in Deutschland auf dem Spiel. Sie können heute die Mütter und Kinder von morgen vor erhöhter Sterblichkeit schützen, indem Sie sich für die wohnortnahe, flächendeckende 1:1-Betreuung durch qualifizierte Hebammen einsetzen.

Dafür danken wir Ihnen!

Für Rückfragen und Erläuterungen stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Für die Eltern,
Dr. Katharina Hartmann, Bonn

Quellen
- Cochrane Review (2013): Midwifery-led continuity model versus other models of care for childbearing women. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/14651858.CD004667.pub3/abstract
- IGES Studie für das BMG (2012): http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/H/120504_IGES-Gutachten_Versorgungs- _und_Verguetungssituation_in_der_ausserklinischen_Hebammenhilfe.pdf
- Ravelli, AC et al. (2011): Travel time from home to hospital and adverse perinatal outcomes in women at term in the Netherlands. In: International Journal of Obstetrica and Gyneacology. 2011 Mar;118(4):457-65. (doi: 10.1111/j.1471-0528.2010.02816.x. Epub 2010 Dec 8.)